<<  | Kap. 3.1.4 |  >>

Ralf Schuricht: Taratalla. Latein Grammatik, 2009 <www.taratalla.de>.

3.1 Bestandteile des Verbs

3.1.4 Infinite Verbformen

Infinitive
Die Infinitive wurden eigentlich mit dem Suffix -sī gebildet. Durch Abschwächung in der Endsilbe wurde daraus in den aktiven Infinitiven das Suffix -se, das wir noch bei es-se oder beim Infinitiv Perfekt Aktiv finden, der mit dem erweiterten Perfektstamm gebildet wird (laudāv-is-se). In den regelmäßig gebildeten Präsensstämmen erfolgte jedoch der nach Vokalen übliche Rhotazismus zu -re: laudā-re, monēre, audī-re, cape-re, reg-e-re. Dabei erfolgte in der kurzvokalischen ĭ-Konjugation vor -r- die Angleichung des stammauslautenden -i- an den Themavokal -e- der konsonantischen Konjugation.
Bei den athemathischen Konjugationen finden wir z.T. assimilierte Formen wie fer-re oder vel-le.
Bei v-Perfekt sind umgangssprachliche Kurzformen ohne die Silbe -vi- nicht selten: z.B. laudāsse statt laudāvisse.
Der Infinitiv Futur Aktiv wird mit dem Partizip Futur Aktiv und esse gebildet. In Verbindung mit finiten Formen von esse entfaltet sich daraus die sogenannte Coniugatio perphrastica activa, eine umschreibende Form des Futur Aktiv, die in Kapitel 4.1.2 näher erläutert wird.
Passivische Infinitive
Der Infinitiv Präsens Passiv wird in den langvokalischen Konjugationen mit dem Suffix -rī gebildet (laudā-rī, monē-rī, audī-rī), ansonsten mit dem Suffix (capī, reg-ī). In der Dichtung findet man gelegentlich auch Nebenformen auf -(r)ier, z.B. agier statt agī.
Der Infinitiv Perfekt Passiv wird mit dem Partizip Perfekt Passiv und esse gebildet.
Der höchst seltene Infinitiv Futur Passiv wird mit dem Supinum II (= Richtungsakkusativ) und dem (eigentlich unpersönlichen) passiven Infinitiv von īre (gehen) gebildet, was bei unserem Beispiel laudātum īrī in annähernd wörtlicher Übersetzung soviel heißt wie: "es kommt zu einer Belobigung (von jemandem)".
Gerundium
Infinitive werden im Satz oft wie Nomina (Sg. n.) behandelt. Der Infinitiv Präsens Aktiv lässt sich mit Hilfe des Gerundiums sogar deklinieren. Gebildet wird das Gerundium mit dem Suffix -nd- und den obliquen Kasusendungen der o-Deklination. Ausführlicher erläutert wird der Gebrauch des Gerundiums in Kapitel 4.4.4.
 
Perfekt / Vorzeitigkeit
Präsens / Gleichzeitigkeit
Futur / Nachzeitigkeit
Inf. Aktiv
laudāvisse
gelobt haben
laudāre (Nom. / Akk.)
loben
- laudandī (Gen.)
- laudandō (Dat., selten)
- ad laudandum (Akk. m. Präp.)
- (in) laudandō (Abl.)
laudātūrum esse
loben werden
Inf. Passiv
laudātum esse
gelobt worden sein
laudārī
gelobt werden
(laudātum īrī)
gelobt werden (werden)
Partizipien
Das Partizip Präsens (bzw. der Gleichzeitigkeit) Aktiv wird mit Präsensstamm (z.T. mit sichtbarem Themavokal), mit dem Suffix -nt- und mit den Adjektivendungen der i-Deklination gebildet: audi-ē-ns, Gen. audi-e-nt-is. Häufig finden sich im Ablativus absolutus aber auch die Endungen der konsonantischen Deklination, also z.B. audient-e statt audient-ī. Manche Autoren bevorzugen auch im Akk. Pl. die Endung -ēs statt -īs.
Das Partizip Perfekt (bzw. der Vorzeitigkeit) Passiv wird mit dem Supinstamm und den Endungen der ā/o-Deklination gebildet: audīt-us, a, um.
Das Partizip Futur (bzw. der Nachzeitigkeit) Aktiv wird ebenfalls mit dem Supinstamm gebildet. Hinzu kommt jedoch das Suffix -ūr-, das mit dem Desiderativsuffix -urī- wie in ēsurīre (essen wollen) verwandt sein könnte. Den Abschluss bilden die Endungen der ā/o- Deklination: audīt-ūr-us, -a, um. Das Deutsche, das nur Part. I und II unterscheidet, hat keine Entsprechung für das Partizip Futur. Es muss umschrieben werden.
Gerundivum
Kein reguläres Partizip, aber doch ein passives Verbaladjektiv der Nachzeitigkeit ist das Gerundivum. Es drückt aus, das eine Sache noch zu tun ist. Ausführlicher erläutert wird der Gebrauch des Gerundivums in Kapitel 4.4.5.
 
Perfekt / Vorzeitigkeit
Präsens / Gleichzeitigkeit
Futur / Nachzeitigkeit
Part. Aktiv
 
laudā-ns, Gen. lauda-nt-is
lobend
laudātūrus, a, um
einer, der loben wird / will
Part. Passiv
laudātus, -a, um
gelobt (pass.!)
 
(laudandus, a, um)
ein zu lobender
Supina
Zu den infiniten Verbformen sind auch das Supinum I und das Supinum II zu zählen. Sie gehen zurück auf erstarrte Formen eines Verbalsubstantives, das mit den Endungen der ū-Deklination vom Supinstamm gebildet wurde (daher der Name). Dabei zeigt das Supinum I als erstarrter Dativ oder Ablativ den Ausgang (z.B. audīt-ū), das Supinum II als erstarrter Richtungsakkusativ den Ausgang -um (audīt-um). Der Gebrauch beider Supina wird in Kapitel 4.4.6 erläutert.
© 2009 R. Schuricht <www.taratalla.de>