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Ralf Schuricht: Taratalla. Latein Grammatik, 2009 <www.taratalla.de>.

1.2 Betonung

Art der Betonung
exspiratorischer
Akzent
Im Deutschen (und in anderen europäischen Sprachen) wird die zu betonende Silbe mit leicht erhöhtem Luftdruck ausgesprochen.
musikalischer
Akzent
Im Lateinischen wurde zumindest in historischer Zeit die Tonhöhe der zu betonenden Silbe angehoben. Dieses Anheben der Tonhöhe gibt es auch im Deutschen, hat dort aber eine syntaktische Funktion: In Aussagesätzen senkt sich die Satzmelodie am Ende: "Du gehst nach Hàuse." Zieht man dagegen die Satzmeldoie am Ende nach oben, wird aus dem Aussagesatz ein Fragesatz: "Du gehst nach Háuse?"
In der Schulaussprache verwenden wir auch im Lateinischen den exspiratorischen Akzent.
Ort der Betonung
fester Ort
Im Deutschen ist der Akzent eines Wortes an eine feste Silbe gebunden, unabhängig von der Anzahl der Silben, die davor oder dahinter stehen, z.B. Ántwort, ántworten, er ántwortete, beántwortet.
variabler Ort
Im Lateinischen haben nur ein- und zweisilbige Wörter einen festen Betonungsort. Zweisilbige Wörter werden nämlich grundsätzlich auf der ersten Silbe betont: z.B. cúr-rit, bó-nus, só-lus.
Bei drei- und mehrsilbigen Wörtern kann der Akzent zwischen der vorletzten und drittletzten Silbe schwanken. Entscheidend ist die Länge der vorletzten Silbe, die Paen-Ultima genannt wird. Ist diese lang, liegt die Betonung auf der vorletzten Silbe, ansonsten auf der drittletzten.
Folglich wird im-pe-rá-tor (mit langem -ā-) auf der vorletzten, dó-mi-nus (mit kurzem -i-) dagegen auf der drittletzten Silbe betont. Bildet man von dóminus den Genetiv Plural do-mi-nó-rum, wandert der Akzent nach hinten auf die vorletzte Silbe, da das dortige -ō- lang ist.
Die Frage, wann eine Silbe als kurz oder lang gemessen wird, ist daher im Lateinischen von größerer Bedeutung als im Deutschen.
Ausnahmen:
Wird ein einsilbiges Enklikum, also ein Wort ohne eigene Betonung wie -que, -ve oder -ne an ein anderes Wort angehängt, wandert dessen Betonung auf die letzte Silbe vor dem Enklitikum, auch wenn diese Silbe kurz ist: z.B. domináque, omniáque.
Einige Wörter haben auch nach dem Abschleifen ihrer Endsilbe ihre ursprüngliche Betonung behalten. Auf der Endsilbe betont werden daher z.B. illīc (aus illīce) oder vidēn (aus vidēsne).
Silbenlänge
lange Silben
Als naturlang gilt eine Silbe mit langem Einzelvokal (ā, ē, ī, ō, ū) oder Diphthong (ae, au, ei, eu, oe, ui). Auf der vorletzten Silbe betont werden daher Wörter wie se-nā-tor, crū-dē-lis, dī-vī-nus, com-mō-tus oder il-lū-sus. Wörter mit Diphthongen in betonten Mittelsilben sind dagegen eher selten, z.B. ad-ae-quat, ap-plau-sus, a-moe-nus.
Als positionslang gilt eine Silbe, wenn auf einen kurzen Vokal zwei oder mehr Konsonanten folgen (zu den Ausnahmen siehe unten). Daher werden z.B. pu-él-la, se-cún-dus, noc-túr-nus oder ad-mi-nís-trat auf der vorletzten Silbe betont. Sprechtechnisch werden die Konsonanten nämlich auf beide Silben verteilt, sodass die vorletzte Silbe geschlossen ist und dadurch "länger" wirkt, auch wenn der Vokal in ihr weiterhin kurz ausgesprochen wird. Auf der vorletzen Silbe betont wird daher auch co-né-xus, da -x- nur als andere Schreibweise für -cs- aufgefasst wird und man eigentlich co-néc-sus spricht.
kurze Silben
Folgt auf einen kurzen Vokal nicht mehr als ein Konsonant, gilt die Silbe immer als kurz (außer bei -x-, siehe oben). Folgen zwei Konsonanten, kommt es auf die Qualität der Konsonaten an, ob die Silbe kurz oder lang gemessen wird.
Keine Positionslänge bildet die Konsonantenfolge muta cum liquida, also eine Kombination aus Verschlusslaut (b, p, d, t, g, c) plus Fließlaut (l, r). Diese Konsonantenkombination gilt als besonders eng und wird daher komplett der neuen Silbe zugeordnet. Dadurch bleibt die vordere Silbe offen und wird weiterhin kurz gemessen. Wörter wie z.B. té-ne-brae oder Kle-ó-pa-tra werden also auf der drittletzten Silbe betont.
Aus ähnlichen Gründen bilden auch -qu- und Kombinationen aus Konsonant plus -h- keine Positionslänge: Man betone also ál-lo-qui und phi-ló-so-phus, aber auch práe-ter-hac auf der drittletzten Silbe. Wörter dieser Art sind indessen selten, sodass diese Ausnahmeregeln erst für die Metrik wichtig werden, wenn Silbenlängen über Wortgrenzen hinweg gemessen werden.
© 2009 R. Schuricht <www.taratalla.de>