Taratalla. Ein Lateintuorium

Res publica libera Romana

Die Verfassung der römischen Republik

1. Stadtstaatliche Grundstrukturen

Auch das Imperium Romanum hatte einmal klein angefangen. In seiner Frühzeit gehörte Rom zu den unzähligen kleinen Stadtstaaten, die die politische Landkarte der antiken Mittelmeerwelt prägten. In all diesen Stadtstaaten gab es drei Grundbausteine staatlicher Strukturen: (1.) ein König bzw. eine Gruppe von gewählten Exekutivbeamten, (2.) ein Rat, in dem eine überschaubare Gruppe von erfahrenen Personen die politischen Entscheidungen beriet, und (3.) eine Volksversammlung, die zumindest bei existenziellen Fragen wie Krieg und Frieden ein gewisses Mitspracherecht der unmittelbar Betroffenen sicherte.

All diese Elemente finden sich auch in Rom wieder: Magistrate, Senat, Komitien. Die Details wurden zwar im Laufe der Jahrhunderte immer wieder den aktuellen Bedürfnissen angepasst, und im 1. Jh. v.Chr. wurde das römische Bürgerrecht zumindest auf alle Italiker ausgedehnt, doch in den Grundstrukturen der politischen Entscheidungsfindung blieb die römische Republik ein auf sich selbst fixierter Stadtstaat, der selbstherrlich und parasitär den restlichen Mittelmeerraum beherrschte, ohne die Beherrschten wirklich integrieren zu wollen. Erst die Kaiser mit ihrem universellen Herrschaftsanspruch sowohl gegenüber ihren römischen Mitbürgern als auch gegenüber den Provinzialen sorgten hier (allmählich) für einen Ausgleich.

2. Magistrate

2.1 Königlicher Ursprung und königliche Befugnisse

Eigentlich liebten die Römer einen autoritären Führungsstil – solange der Mann an der Spitze gute Arbeit leistete. König Tarquinius Superbus scheint ein paar entscheidende Dinge falsch gemacht zu haben, denn die Römer warfen ihn 509 v.Chr. aus der Stadt, erklärten den Titel rex zum Schimpfwort und stellten das System um auf jährlich neu zu wählende Exekutivbeamte (magistratus), die aber im Prinzip die umfassenden Vollmachten eines Königs behielten: Ein römischer Konsul besaß sowohl als Feldherr wie auch als oberster Richter imperium, d.h. die Gewalt über Leben und Tod, er war formal an keinerlei Weisung irgendeiner anderen Instanz gebunden, und er konnte während seiner Amtszeit weder abgesetzt noch angeklagt werden. Erst nach seiner Amtszeit musste er einen Rechenschaftsbericht vorlegen und sich für seine Amtsführung verantworten.

Eine solche Machtfülle schreit geradezu nach Missbrauch und Staatsstreich, weshalb die Römer ein paar Sicherungen einbauten: Kollegialität, Annuität und Iterationsverbot. Kollegialität bedeutet, dass jedes Amt (mindestens) doppelt besetzt war. Es gab also immer zwei Konsuln an der Spitze, sodass notfalls der eine Konsul die Entscheidung des anderen blockieren konnte. Annuität bedeutet, dass die Amtszeit automatisch nach genau einem Jahr ablief und nicht verlängert werden konnte. Aufgrund des Iterationsverbotes durfte ein Amt auch nicht unmittelbar wiederholt werden, sondern frühestens nach 10 Jahren. Nur in Krisenzeiten, als z.B. die Kimbern und Teutonen Rom bedrohten und erfolgreiche Feldherren Mangelware waren, hatten die pragmatischen Römer keine Skrupel, ihre Prinzipien vorübergehend über Bord zu werfen und ihren damals fähigsten Feldherrn Marius sechsmal hintereinander zum Konsul zu wählen.

Eine andere Art von Sicherung war gewissermaßen der cursus honorum, die Ämterlaufbahn, die jeder Politiker (spätestens seit 180 v.Chr.) durchlaufen musste, bevor er mit 43 Jahren Konsul werden konnte. Man musste sich also hocharbeiten und wurde dabei politisch sozialisiert. Die Überholspur wurde auch hier nur in militärischen Notlagen geöffnet – und natürlich später in den Bürgerkriegen.

2.2 Der cursus honorum

Von einem Bewerber um ein politisches Amt wurde erwartet, dass er vor Beginn seiner politischen Karriere seine zehn Pflichtjahre beim Militär absolviert hatte – in der Frühzeit meistens bei der Kavallerie, später dann vor allem als Stabsoffizier im Gefolge eines Feldherrn. Anschließend durfte er sich um das erste Amt bewerben: die Quästur. Als einer von mehreren (zuletzt 20) quaestores war er in der Finanzverwaltung tätig und meistens einem Konsul oder einem Provinzialverwalter (Prokonsul, Propraetor) als rechte Hand und Stellvertreter zugeordnet. Finanzverwaltung bedeutete dabei im Wesentlichen die Verwaltung der Ausgaben. Das Eintreiben von Steuern und Zöllen wurde von Privatleuten erledigt (siehe Kapitel 2.3).

Auf der zweiten Stufe der Karriereleiter hatte man die Auswahl zwischen Ädilität und Volkstribunat. Als einer von vier aediles war man zuständig für die Marktaufsicht, für die Pflege von Straßen und Tempeln und für die Durchführung von religiösen Festen. Aus der letztgenannten Zuständigkeit entwickelte sich im 1. Jh. v.Chr. die Unsitte, gerade in diesem Amt möglichst prächtige Gladiatorenspiele, Wagenrennen oder andere Vergnügungen zu veranstalten, um sich die Sympathien der römischen Wähler für die nächsten Wahlen zu sichern – ein Wettbewerb, der gnadenlos eskalierte und die meisten aediles in eine so hohe Verschuldung trieb, dass nur das Erreichen des Konsulates – genauer: eines einträglichen Prokonsulates – ihre Finanzen wieder sanieren konnte.

Die Alternative zur Ädilität war das (oder: der) Volkstribunat. Das Amt der (zuletzt 10) tribuni plebis war schon in der Frühzeit der Republik eingerichtet worden, um die plebs, also die stadtrömische Mittel- und Unterschicht, vor den Übergriffen der übrigen Magistrate zu schützen. Es war also eigentlich ein Sonderamt der plebs und wurde erst später in den cursus honorum integriert. Ein Volkstribun konnte durch intercessio (Dazwischentreten) z.B. die Verhaftung eines römischen Bürgers verhindern, er konnte durch den Zwischenruf veto ("ich verbiete") einen Senatsbeschluss verhindern, und er war zu seinem eigenen Schutz mit einer besonderen Art von Unverletzlichkeit ausgestattet (sacrosanctitas), die jede Handlung gegen ihn zum religiösen Frevel machte. Ferner durfte er genauso wie ein Konsul Volksversammlungen leiten und dort (seit 287 v.Chr.) allgemeingültige Gesetze beschließen lassen. Wer also seine Karriere nach dem Volkstribunat fortsetzen wollte, konnte sich durch populäre Aktivitäten für kommende Wahlen empfehlen.

Denn auf der nächsten Stufe kamen sie endlich, die Ämter mit imperium, in denen man eigenverantwortlich Provinzen verwalten, Truppen kommandieren sowie Siege, Ruhm und Reichtum erlangen konnte. Nachdem einige Konsuln zu Beginn des 1. Jh. v.Chr. diese Kompetenz dazu missbraucht hatten, um in Rom gewaltsam an die Macht zu kommen, hatte Sulla (der selbst mit seinen Truppen in Rom einmarschiert war) die Neuregelung durchgesetzt, dass jeder praetor und consul seine einjährige Amtszeit in Rom verbringen und erst anschließend in einer Stellung pro praetore bzw. pro consule eine Provinz und die dazugehörigen Armeen übernehmen sollte. Da die dazu notwendige Verlängerung des imperiums (gewöhnlich für 2-3 Jahre) Sache des Senates war, hoffte Sulla (letztlich vergeblich), dass die Truppenkommandeure in den Provinzen unter der Kontrolle des Senates bleiben würden, da der Senat ihnen jederzeit das imperium entziehen konnte. Ohne imperium war der Kommandeur ein Privatmann, dem die Soldaten nicht mehr gehorchen mussten. Doch wie sich herausstellte, folgten beutegierige Soldaten auch erfolgreichen "Privatleuten" in den Kampf gegen den Senat.

Während ihrer regulären Amtszeit in Rom hatten sich die (seit Sulla 8) praetores um die Rechtsprechung zu kümmern, indem sie je einen der acht Geschworenengerichtshöfe leiteten. Die Aufgabe der beiden consules war die Vorbereitung und Leitung der Senatssitzungen sowie der Volksversammlungen. Damit blieb der consulatus auch weiterhin der Gipfel jeder politischen Laufbahn.

Es gab nur noch eine Steigerung, die aber bloß eine Steigerung der Ehre denn der wirklichen Macht darstellte: Alle fünf Jahre wurden aus den Reihen der ehemaligen consules zwei censores gewählt, die die Bürger- und Senatslisten auf den aktuellen Stand brachten und die Versteigerung der Steuerpacht (siehe Kapitel 2.3) besorgten.

Zu erwähnen ist noch das Amt der Diktatur. Ursprünglich war es als Instrument zum Krisenmanagement gedacht: Wenn die beiden Konsuln in einer militärischen Krise nicht miteinander auskamen, sondern sich nur gegenseitig behinderten, sollten sie – auf Empfehlung des Senates, aber letztlich freiwillig – ihre Macht an einen dictator übergeben, der für sechs Monate die alleinige oberste Befehlsgewalt besitzen sollte. In dieser Form wurde das Amt zuletzt im 2. Punischen Krieg besetzt (202 v.Chr.) und kam dann aus der Mode. Erst in den Bürgerkriegen des 1. Jh. v.Chr. wurde das Amt von Sulla und Caesar wiederentdeckt. Sie hatten sich an die Macht geputscht und wollten ihre ungesetzliche Alleinherrschaft mit einem Deckmäntelchen von Legalität bedecken. Doch diese neue Form von Diktatur hatte mit der altrömischen Diktatur nur noch den Namen gemeinsam.

2.3 Verwaltung

Die römische Republik besaß anfangs so gut wie keine staatliche Verwaltung. Jeder Magistrat musste zu Beginn seiner Amtszeit einen eigenen Verwaltungsstab aufbauen, der dann aber aus der Staatskasse besoldet wurde. Dabei wurden die oberen Positionen mit Freunden und Bekannten besetzt. Für die unteren Positionen konnte man entweder auf das eigene Personal aus der familieneigenen Gutsverwaltung oder auf das Personal des Amtsvorgängers zurückgreifen. Letzteres setzte sich allmählich durch, sodass den jährlich wechselnden Magistraten mit ihrem Anhang zumindest ein kleiner Kern von lebenslänglich angestellten apparitores mit Fachkompetenz und Verwaltungsroutine zur Seite stand. Das Gros dieser apparitores waren Sklaven und Freigelassene. Am bekanntesten sind wohl die lictores, eine Art Ehrengarde, die mit ihren Rutenbündeln (fasces) den Magistraten voranschritten.

Die römische Republik kam auch deshalb mit so wenig Verwaltungspersonal aus, weil der Komplex der Steuererhebung weitestgehend ausgegliedert war. Das in der Antike übliche System, das Eintreiben von Zöllen an Privatleute zu verpachten, wurde von den Römern auch auf die Steuererhebung in den Provinzen ausgedehnt. Wer bei der öffentlichen Versteigerung (die natürlich in Rom stattfand) am meisten bot, zahlte diesen Festbetrag an die Staatskasse und durfte dann für einen bestimmten Zeitraum die Steuern einer ganzen Provinz eintreiben. Der dafür angesetzte Festbetrag war allerdings so gewaltig, dass er von einem einzelnen Privatmann nicht mehr aufgebracht werden konnte, sodass sich reiche Römer aus der Schicht der equites zu Kapitalgesellschaften (publicani) zusammenschlossen. Diese stellten anschließend ihr eigenes Personal auf, schickten es in die Provinz und sorgten – meist mit Unterstützung der dortigen Prokonsuln und Proprätoren – dafür, dass die Provinzialen bis an die Schmerzgrenze geschröpft wurden.

Die Provinzialen waren übrigens die einzigen, die direkte Steuern zahlen mussten. Die römischen Bürger gönnten sich seit 168 v.Chr. das Privileg, von direkter Besteuerung befreit zu sein. Daran wagten auch die ersten Kaiser nicht zu rütteln, weshalb sie versuchten, auf dem Umweg über die Erbschaftssteuer ihre geliebten Mitbürger zur Kasse zu bitten.

3. Senat

Der Senat war das eigentliche Machtzentrum der römischen Republik. Hervorgegangen war er aus dem Beraterstab des Königs, denn auch für einen König war es politisch sinnvoll, bereits vor einer Entscheidung in kleiner Runde auszuloten, ob die einflussreichen Clanchefs diese Entscheidung mittragen würden. Und einflussreich waren diese patres, da ihre Familien sehr viel Land besaßen, sodass nicht nur die Pächter dieses Landes, sondern auch die selbstständigen Kleinbauern im Umland in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zu diesen Großgrundbesitzern standen.

Landbesitz, eine möglichst umfangreiche Klientel, die man zu Wahlen und anderen politischen Entscheidungen mit in die Volksversammlung bringen konnte, und natürlich auch ein weitverzweigtes Netz von Verwandten und Freunden, die man im Bedarfsfall mobilisieren konnte, bildeten denn auch in republikanischer Zeit die Machtgrundlage, um an der kollektiven Staatsführung teilhaben zu können.

Formal wurde die Aufnahme in den Senat von den censores vorgenommen. Als "senatswürdig" galten vor allem diejenigen, die gerade dabei waren, den cursus honorum zu durchlaufen, wobei die Mindestanforderungen mit der Zeit sanken. Seit den sullanischen Reformen (80 v.Chr.) genügte es, das Einstiegsamt der Quästur erreicht zu haben. Wer einmal in den Senat aufgenommen war, blieb dort bis zu seinem Lebensende, sofern er sich nicht eines "unsittlichen" Lebenswandels schuldig machte und von den Zensoren wieder hinausgeworfen wurde. Um sich gegen Neureiche wie z.B. Großkaufleute und Bankiers abzuschotten, waren den Senatoren seit 218 v.Chr. derartige Geschäfte verboten. Zumindest offiziell durften sie ihre Einkünfte nur aus ihrem Großgrundbesitz erzielen.

Auch innerhalb des Senates herrschte eine strenge Hierarchie, die sich in der Geschäftsordnung spiegelt. Die Reihenfolge, in der die Senatoren sich zu einem Thema äußern durften (sententiam dicere), orientierte sich streng am cursus honorum und innerhalb dieser Gruppen am Dienstalter. Zuerst durften die consulares reden, also diejenigen, die schon einmal Konsul gewesen waren, dann diejenigen, die es bis zur Prätur gebracht hatten, usw. Letztlich besaß also ein kleiner Kreis von vielleicht 30 Senatoren die Meinungsführerschaft im Senat – und versuchte sie an seine Nachkommen weiterzugeben: Um wirklich zur anerkannten Führungsriege der Nobilität zu zählen, musste man nicht nur selbst Konsul gewesen sein, sondern auch einen Vater und Großvater vorweisen können, die dieses Amt bekleidet hatten. Die übrigen Senatoren verzichteten in den Beratungen gewöhnlich auf lange Reden und schlossen sich einer der am Anfang genannten Meinungen an. Das Ziel der Beratung war sowieso eher das Herstellen eines Konsenses. Es gab keine Parteien mit festen ideologischen Programmen, die sich einen regelmäßigen Schlagabtausch lieferten. Zeichnete sich in einer Sachfrage eine Mehrheit für eine bestimmte Position ab, bemühten sich die meisten, sich dieser Meinung anzuschließen, um nicht als Außenseiter dazustehen. Überhaupt wurde das Abstimmungsverhalten der einzelnen Senatoren oft mehr durch personale Bindungen (Verwandte, Freunde, Freunde von Freunden, persönliche Verpflichtungen) als durch Sachargumente bestimmt.

Der klassische Umfang des Senates betrug etwa 300 Mann. Die spätere Erweiterung auf 600 und dann sogar auf 900 Mann erfolgte nicht aus innerer Einsicht, sondern war von Sulla und Caesar erzwungen worden. Sinnvoll war diese Erweiterung allemal, da nach der Ausdehnung des römischen Bürgerrechts auf alle Italiker die lokalen Eliten aus ganz Italien auf politische Mitspracherechte in Rom drängten.

Der Titel consul verweist auf die zentrale Funktion des Senates als Beratungsorgan für die Magistrate. Denn consulere bedeutet um Rat fragen. Man erwartete also, dass die consules politische Entscheidungen nicht allein im stillen Kämmerlein fällten, sondern dem Senat zur Beratung vorlegten – und sich nach der Debatte und Abstimmung im Senat dann auch gefälligst an diese "Empfehlung" hielten. Denn mehr als eine unverbindliche Empfehlung war ein Senatsbeschluss (senatus consultum) eigentlich nicht. Gesetze wurden in den Volksversammlungen beschlossen. Doch normalerweise hielten sich die Konsuln, die ja selbst nur ein Jahr lang Konsuln, aber lebenslang Senatoren waren, an diese Spielregeln und legten den Volksversammlungen genau die Gesetzesvorlagen zur Abstimmung vor, die den Segen des Senates besaßen. Denn auch das Volk verließ sich meistens auf die politische Kompetenz ihrer Führungselite, zumindest in Fragen der Außenpolitik. Man musste also schon ein sehr konfliktfreudiger und von sich selbst überzeugter Politiker wie z.B. Gaius Iulius Caesar sein (und irgendwie die Sympathien des Volkes auf seine Seite bringen), um gegen den Willen des Senates politische Entscheidungen zu erzwingen. Als die Gracchus-Brüder dies 133 und 123 v.Chr. erstmals versuchten, bezahlten sie den Versuch mit ihrem Leben. Und auch Caesar schuf sich als Konsul 59 v.Chr. mit seinem senatsfeindlichen Politikstil so viele einflussreiche Todfeinde, dass er sich letztlich nur durch einen Bürgerkrieg retten zu können glaubte.

In manchen Bereichen waren die Senatsbeschlüsse mehr als bloße Empfehlungen. Denn wenn die comitia curiata zuständig waren, um einen Sentasbeschluss in ein rechtskräftiges Gesetz umzuwandeln, war die Zustimmung gewiss, da diese Art der Komitien zu einer bedeutungslosen Pro-Forma-Versammlung mit abgeordneten Liktoren abgesunken war. Folglich konnte der Senat praktisch allein über die Verwendung der staatlichen Gelder und über die Verlängerung des imperiums eines Prätors oder Konsuls entscheiden, womit er ein mächtiges Instrument in der Hand hatte, um die Heerführer in den Provinzen unter Kontrolle zu halten. Im Konfliktfall stand jedoch auch hier ein anderslautendes Gesetz, das eine andere (echte) Volksversammlung beschlossen hatte, über jedem Senatsbeschluss.

Insgesamt beruhte die Macht des Senates also weniger auf formalen Befugnissen als auf seiner auctoritas, d.h. seinem Ansehen und Sozialprestige, das er aufgrund seiner erfolgreichen Politik im Volk genoss. Ein charismatischer Führer, der die Sympathien des Volkes bzw. seiner Soldaten genoss, konnte die Macht des Senates relativ leicht aushebeln. Die Frage war nur, ob er es überhaupt wollte. Die meisten Magistrate kamen überhaupt nicht auf die Idee, da ihre senatorische Standesethik von einem republikanischen Wertesystem geprägt war, in dem die kollektive Staatsführung selbstverständlich und eine einflussreiche Position im, nicht über dem Senat das höchste Ziel war. Daher hatte selbst ein Mann wie Sulla nach seinem Putsch und der Neuordnung des Staates seine Macht wieder an den Senat zurückgegeben und sich ins Privatleben zurückgezogen. Caesar soll ihn dafür als politischen Analphabeten bezeichnet haben. Er war der Erste, der sich von der einmal erlangten Macht nicht mehr trennen wollte.

4. Komitien

Wie oben schon erwähnt, waren die römischen Volksversammlungen die oberste Entscheidungsinstanz, die allein per Abstimmung eine Empfehlung des Senates in ein rechtsgültiges Gesetz umwandeln konnte. Ferner wurden in diesen Versammlungen alljährlich die Magistrate gewählt und bei Bedarf auch Strafprozesse verhandelt, da die Volksversammlung zugleich die oberste judikative Instanz war.

Die Machtverteilung zwischen Senat und Volk wird in der allseits bekannten Formel SPQR – senatus populusque Romanus deutlich: Die senatorische Elite beanspruchte zwar den kollektiven Führungsanspruch im Staat, doch es wurde erwartet, dass die Senatoren nicht nur ihre eigenen Interessen verfolgten, sondern für das Gesamtwohl des Staates eintraten und im Konsens mit der übrigen Bürgerschaft handelten. Die Komitien, wie die römischen Volksversammlungen genannt wurden, hatten die Aufgabe, diesen Konsens im konkreten Einzelfall zu überprüfen. Dabei wurde das Risiko des Dissenses bereits im Vorfeld durch gewisse Maßnahmen minimiert, sodass es bis ins 2. Jh. v.Chr. als normal galt, dass eine politische Vorentscheidung des Senates die Zustimmung der Volksversammlung erhielt.

Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Politik der Senatoren tatsächlich den bäuerlichen Unterschichten zugute kam: Die ständigen Kriege verlangten zwar einen hohen Blutzoll, doch die langsame Eroberung Italiens, die vom 5. bis zum 3. Jahrhundert v.Chr. dauerte, eröffnete vielen Söhnen von Kleinbauern neue Existenzchancen, weil die unterworfenen Italiker Land abtreten mussten, das an römische Kolonisten verteilt wurde.

Doch nicht nur erfolgreiche Politik, sondern auch die Zusammensetzung der Komitien und der formale Ablauf der Entscheidungsfindung trugen dazu bei, die Risiken eines Dissenses zwischen Senat und Volk zu minimieren.

Wie in der Antike üblich, besaßen auch in einer römischen Volksversammlung nur freie, erwachsene, römische Männer das Stimmrecht. Frauen, Kinder, Sklaven und Ausländer waren ausgeschlossen. Doch auch die stimmberechtigten Bürger waren bei der Abstimmung nicht alle gleich. Denn abgestimmt wurde in Gruppen, d.h. die gesamte Bürgerschaft war in eine feste Anzahl von Gruppen eingeteilt, die jeweils eine Stimme hatten. Wie eine jede Gruppe abstimmte, wurde intern durch Mehrheitsbeschluss ermittelt. Das System erscheint auf den ersten Blick fremdartig, ist aber im Prinzip nur eine Variante des modernen Mehrheitswahlrechts. Die römische Variante hatte indessen einen gewaltigen Haken: Die Gruppen waren nicht gleich groß. Bürger mit ländlichem Wohnsitz, Vermögen und hohem Alter (ab 46) wurden systematisch bevorzugt, indem sie, obwohl weniger zahlreich, mehr Gruppen bildeten als die Masse der städtischen und ländlichen Unterschichten, die in wenigen, großen Gruppen zusammengefasst war.

Je nach dem, wie die Gruppen gebildet wurden, welcher Magistrat die Versammlung leitete und welche Kompetenzen die Versammlung besaß, konnte die stimmberechtigte Bürgerschaft zu folgenden Versammlungen zusammentreten:

In den comitia tributa traten die Bürger getrennt nach ihren 35 Wohnbezirken (tribus) zusammen. Die stadtrömische Bevölkerung bildete vier Tribus, die ländliche in der Frühzeit 17, seit 241 v.Chr. 31 Tribus. Die Tribuskomitien dienten vor allem zur Wahl der niederen Magistrate ohne Imperium, daneben auch als Volksgericht.

Für die Wahl der höheren Magistrate (consules, praetores, censores) und für die wichtigeren politischen Entscheidungen wie z.B. über Krieg und Frieden waren die comitia centuriata zuständig. In diesen Komitien war die Bürgerschaft zunächst nicht nach dem Wohnsitz, sondern nur nach Vermögensklassen und Alter geordnet. Hintergrund dieser Ordnung war die alte Wehrverfassung, die vorsah, dass sich jeder nach seinem Vermögen für den Militärdienst selbst auszurüsten hatte. Überliefert ist für die klassische Zeit eine Gesamtzahl von 193 centuriae mit folgender Verteilung: 18 Zenturien equites (= Reiter), 80 Zenturien der 1. Vermögensklasse (= schwergepanzerte Infantrie), je 20 Zenturien der 2. bis 4. Klasse und 30 Zenturien der 5. Klasse (= Infantrie mit geringerer Schutzausrüstung), 4 Zenturien Spezialisten (Signalbläser, Schmiede und Zimmerleute) und eine Restzenturie, in der die besitzlosen proletarii zusammengefasst waren und die mehr Menschen umfasste als die gesamte erste Vermögensklasse. Die offensichtliche Ungleichheit wurde noch dadurch verschärft, dass in jeder Klasse die Hälfte der Zenturien den seniores, d.h. den älteren Bürgern ab 46 Jahren vorbehalten war, von denen es in einer Gesellschaft mit niedriger Lebenserwartung naturgemäß weitaus weniger gab als iuniores. Doch für einen antiken Menschen war diese Einteilung nicht unbedingt ungerecht: Wer mehr in die Verteidigung des Staates investierte und wer schon jahrelang den Staat verteidigt hatte, der durfte auch ein größeres Mitspracherecht beanspruchen.

Auch der Abstimmungsmodus in den comitia centuriata entspricht nicht gerade unseren Vorstellungen von demokratischer Mitbestimmung: Die Abstimmung erfolgte zwar geheim, aber nicht gleichzeitig, sondern nacheinander, wobei mit den Zenturien der equites und der 1. Klasse begonnen wurde. Die Zwischenergebnisse wurden ständig bekanntgegeben und die gesamte Abstimmung pragmatischerweise abgebrochen, sobald eine Mehrheit feststand. Somit kam der größte Teil der Bürger de facto niemals zur Stimmabgabe. Gleichwohl konnten sich auch diese Volksschichten als Teil des politischen Systems fühlen: Sie waren zumindest formal integriert, meistens auch anwesend und dürften auf dem Umweg über den Druck der öffentlichen Meinung sogar einen gewissen Einfluss auf die Abstimmungsergebnisse gehabt haben.

Etwa um 230 v.Chr. wurde die Zenturienordnung mit der Tribusordnung kombiniert, sodass die eher konservativ und bodenständig denkende Landbevölkerung auch in den comitia centuriata ihr Übergewicht wahrte. Als die Italiker zu Beginn des 1. Jh. v.Chr. sich das römische Bürgerrecht erkämpft hatten, versuchten die ländlichen Tribus ihren Einfluss wiederum zu wahren, indem die italischen Neubürger zunächst nur in die vier städtischen Tribus eingeschrieben werden sollten. Letztlich wurden sie zwar auf (fast) alle Tribus gleichmäßig verteilt, doch einige besonders vornehme Tribus blieben dabei weitgehend verschont.

In der Gliederung nach 35 Tribus wurde auch in den concilia plebis abgestimmt, die ursprünglich keine Versammlungen des Gesamtvolkes (comitia), sondern nur Sonderversammlungen der plebs gewesen waren. Unklar ist bis heute, wer am Anfang alles zur plebs zählte, doch seit 287 v.Chr. waren ihre Beschlüsse mit denen der Komitien gleichgestellt, sodass letztlich alle Bürger daran teilnehmen konnten und für die Beteiligten kaum noch ein Unterschied zu den Tribuskomitien bestand. Im Gegensatz zu den comitia centuriata stimmten alle 35 Tribus gleichzeitig ab. Ferner wurden die concilia plebis von den Volkstribunen geleitet, die in ihren Gesetzesvorschlägen weit weniger an die Empfehlungen des Senates gebunden waren als die ordentlichen Magistrate. Daher wurden die concilia plebis in der späten Republik (ab dem 2. Jh. v.Chr.) der bevorzugte Ort, um Reformvorhaben notfalls auch gegen den Willen des Senates in Gesetze umzuwandeln. Auch Konsuln wie z.B. Caesar nutzten diese Versammlungsform, indem sie mit einem der Volkstribunen kooperierten.

Aus Gründen der Vollständigkeit seien hier noch einmal die oben schon erwähnten comitia curiata genannt, ein Relikt aus der alten Königszeit, das nur noch aus religiöser Scheu weiterexistierte, während die eigentlichen Entscheidungsbefugnisse dieser Versammlung eigentlich ganz auf den Senat übergegangen waren. Anstelle der 30 Kurien, je zehn für die früheren Bevölkerungsgruppen der Latiner, Etrusker und Sabiner, wurden in späterer Zeit nur abgeordnete Liktoren zusammengerufen.

Die letzte Besonderheit der römischen Volksversammlungen betrifft die Befugnisse der Versammlungsleiter, die in einem merkwürdigen Kontrast zur Funktion der Komitien als oberste Entscheidungsinstanz stehen. Eine römische Volksversammlung war ohne ihren leitenden Magistrat völlig handlungsunfähig. Der Magistrat berief die Versammlung ein, stellte einen Gesetzesantrag oder die zu wählenden Kandidaten vor, hielt vielleicht noch eine erläuternde Rede und forderte die Versammlung zur Abstimmung auf. Die versammelten Bürger durften den gestellten Gesetzesentwurf weder diskutieren noch abändern, geschweige denn einen Gegenantrag stellen. Bei der Abstimmung, die in der späten Republik schriftlich auf Täfelchen erfolgte, hatten sie nur die Wahl zwischen Ja (V = VTI ROGAS = wie du beantragst) und Nein (A = ANTIQVO = ich belasse es beim Alten). Wenn dem Versammlungsleiter das Abstimmungsergebnis nicht gefiel, konnte er es ignorieren und die Bürgerschaft auffordern, nochmals, aber diesmal "besser" abzustimmen. Das Ergebnis wurde erst dann gültig, wenn er es öffentlich verlas und für gültig erklärte.

Bedenkt man, dass die Magistrate sich gewöhnlich an die Empfehlungen des Senates hielten, wird hier noch einmal deutlich, wie sehr das ganze politische System der römischen Republik darauf ausgerichtet war, die kollektiven Entscheidungen der politisch erfahrenen Führungseliten im Senat in einen Konsens der gesamten Bürgerschaft umzuwandeln. Mit einem solchen System ließ sich auch in Krisenzeiten eine konstante politische Linie verfolgen, die zu den großen außenpolitischen Erfolgen der römischen Republik geführt hat. Letztlich waren es aber gerade diese Erfolge und die Überdehnung der stadtstaatlichen Strukturen, die den Konsens auflösten: Die Notwendigkeit, einzelne Magistrate mit großen militärischen Kommandos von längerer Dauer zu betrauen, erschwerte deren anschließende Re-Integration in die kollektive Senatsführung, und auch in den Volksversammlungen verschärften sich die Interessengegensätze zwischen Senatoren, Bauernsoldaten und stadtrömischer Bevölkerung – von der unzureichenden Integration der Italiker und der völlig fehlenden Integration der Provinzialen ganz zu schweigen.

© 2009 R. Schuricht <www.taratalla.de>