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Ralf Schuricht: Taratalla. Latein Grammatik, 2009 <www.taratalla.de>.

4.6 Nebensätze

4.6.2 Relativsätze

Relativsätze haben meist attributive Funktion, d.h. sie erläutern ein vorhandenes Nomen. Sie können aber auch als Subjekt- oder Objektsätze entsprechende Nomina ersetzen.
Eingeleitet werden Relativsätze entweder durch das Relativpronomen quī quae quod (der die das), durch relative Adverbien wie ubī (wo) etc. oder durch verallgemeinernde Relativa wie quīcumque oder quisquis (wer auch immer).
Beziehungswörter
und Kongruenz
Der Kasus des Relativpronomens richtet sich nach der Funktion, die es im Relativsatz hat. Numerus und Genus richten sich nach dem Beziehungswort im übergeordneten Satz. Bei mehreren Beziehungswörtern gelten die Kongruenzregeln, die auch für die Kongruenz zwischen Subjekt und Prädikat gelten (siehe Kapitel 4.6.1). Man beachte, dass sich das Relativpronomen als Subjekt des Relativsatzes auch nach einem substantivischen Prädikatsnomen richten kann:
Lucius et Paula, quōs Rōmae cognōveram, mihī epistulam mīsērunt. – Lucius und Paula,
die ich in Rom kennengelernt hatte, haben mir einen Brief geschickt.
aber:
Rōmae, quod est caput mundī, hominēs undīque conveniunt. – In Rom, das die Hauptstadt der Welt ist, kommen die Leute von überall her zusammen.
Oft wird das Beziehungswort ganz in den Relativsatz hineingezogen, gelegentlich auch nur im Relativsatz wiederholt. Bei Subjekt- und Objektsätzen steht entweder gar kein Beziehungswort oder nur ein Demonstrativum als Stützwort:
Quem librum mīsistī, mihī placet. – Das Buch, das du geschickt hast, gefällt mir.
Liber, quem (librum) mīsistī, mihī placet. – Das Buch, das du geschickt hast, gefällt mir.
Mitte mihī (ea), quae iam scrīpsistī! – Schicke mir (das), was du schon geschrieben hast!
Greift das Relativpronomen die gesamte übergeordnete Handlung auf, wird (id) quod oder quae rēs verwendet:
Marcus Tertiam amt, quod mihī valdē displicet. – Marcus liebt Tertia, was mir sehr missfällt.
Marcus Tertiam amt, cuius reī causā valdē irātus sum. – Marcus liebt Tertia, weswegen ich sehr wütend bin.
relative
Adverbien
In Bezug auf Zeit- und Ortsangaben findet man wie im Deutschen anstelle von Relativ- pronomina oft relative Adverbien wie quandō (als), ubī (wo), quō (wohin) oder undē (woher):
Ubī vīvimus, īnsula parva est. – Der Ort, an dem wir leben, ist eine kleine Insel.
Ōstia, unde Rōmam vēnī, valdē mihī placuit. – Ostia, von wo aus ich nach Rom gekommen bin, hat mir sehr gefallen.
verallgemeinernde
Relativa
Verallgemeinernde Relativa gibt es sowohl von Pronomina als auch von Adverbien. Sie stehen im Lateinischen gewöhnlich mit dem Indikativ, während wir im Deutschen die Unbestimmtheit der Aussage oft durch die Verwendung des Konjunktivs verstärken:
Quidquid agis, prūdenter agās! – Was du auch tust, mögest du klug tun!
Quamcumque puellam adamāvī, mē nōn redamāvit. – In welches Mädchen ich mich auch
verliebte, sie erwiderte meine Liebe nicht.
Ubicumque es, nōlī dēspērāre! – Wo auch immer du bist / sein magst, verzweifele nicht!
Tempus
Je nach dem Grad der inhaltlichen Abhängigkeit ist in einem Relativsatz bezogenes Tempus oder selbständiges Tempus möglich. Siehe Kapitel 4.6.1.
Modus und
Nebensinn
Das Prädikat eines Relativsatzes steht gewöhnlich in dem Modus, in dem die Aussage auch als selbstständiger Satz stehen würde. Neben indikativischen Aussagen findet man also auch solche im potentialen oder irrealen Konjunktiv. Die Verneinung ist dabei stets nōn. Bei vielen Relativsätzen verweist der Konjunktiv allerdings auf einen Nebensinn.
Relativsätze mit finalem Nebensinn findet man nach diversen Verben wie z.B. des Schickens oder Benachrichtigens, aber auch nach den Adjektiven dīgnus (würdig), indīgnus (unwürdig), idōneus (geeignet) und aptus (passend). Im Deutschen lässt sich die finale Sinnrichtung entweder mit "sollen" wiedergeben, oder man konstruiert einen Finalsatz bzw. einen erweiterten Infinitiv:
Mīsit lēgātōs, quī hoc dīcerent. – Er schickte Gesandte, die Folgendes sagen sollten.
Haec puella dīgna est, quae laudētur. – Dieses Mädchen ist würdig (um) gelobt zu werden.
Relativsätze mit konsekutivem Nebensinn findet man gelegentlich anstelle von ut-Sätzen, wenn Partikel wie tam (so), tālis (solch ein) etc. in der übergeordneten Handlung darauf vorbereiten. In vielen Fällen muss man solche Partikel aber inhaltlich ergänzen. Insbesondere nach unbestimmten, verneinten oder erläuterungsbedürftigen Beziehungswörtern folgen im Lateinischen immer konjunktivische Relativsätze. Im Deutschen können wir solche Konjunktive ignorieren, da wir konsekutive Aussagen im Indikativ wiedergeben:
Tertia tam pulchra puella est, quae ab omnibus laudētur. – Tertia ist ein so hübsches Mädchen, dass sie von allen gelobt wird.
(Nōn) sunt, quī Tertiam pulchram putent. – Es gibt (keine) Leute, die Tertia für hübsch halten.
Marcus ūnus fuit, quī nōbīs adfutūrus esset. – Marcus war der Einzige, der bereit war uns zu helfen.
Nach einer verneinten Aussage im übergeordneten Satz können das Relativpronomen (mit beliebigem KNG) und die Negation auch zu quīn verschmelzen:
Scelus nōn est, quīn (= quod nōn) commīserit. – Es gibt kein Verbrechen, das er nicht begangen hat.
Etwas seltener sind Relativsätze mit kausalem oder konzessivem Nebensinn. Bei der deutschen Übersetzung bleibt nur die Wahl zwischen normalem Relativsatz oder konjuntionalem Nebensatz:
Marcus Tertiam, quam amet, pulcherrimam putat. – Marcus hält Tertia, die er liebt / weil er sie liebt, für sehr schön.
Tertiam, quae ab omnibus laudētur, pulchram nōn putō. – Ich halte Tertia, die von allen
gelobt wird / auch wenn sie von allen gelobt wird, nicht für hübsch.
Verbindungen
Sind von einem Beziehungswort mehrere Relativsätze abhängig, stehen diese oft asyndetisch nebeneinander. Verbindungen mit -que (oder auch et) werden nur dann verwendet, wenn zwei Relativsätze in einem gleich engen Verhältnis zum Beziehungswort stehen.
Puella, cui nōmen Tertiae est, quam amō, herī in theātrō fuit. – Das Mädchen, das Tertia heißt und das ich liebe, ist gestern im Theater gewesen.
aber:
Puellae, quam amō quaeque mē amat, herī nōmen Tertiae est. – Das Mädchen, das ich liebe und das mich liebt, heißt Tertia.
Andererseits ist eine Verbindung mit et bei einer Verknüpfung von Adjektiv und Relativsatz notwendig:
Puella pulchra et quam amō, herī in theātrō fuit. – Das schöne Mädchen, das ich liebe, ist gestern im Theater gewesen.
relativischer
Anschluss
Die inhaltliche Abhängigkeit von Relativsätzen kann so gering sein, dass diese zwar weiterhin mit quī quae quod eingeleitet werden, grammatikalisch aber als selbständiger Hauptsätzen aufgefasst werden. Aus dem Relativpronomen wird ein zurückverweisendes Demonstrativum, das wir im Deutschen auch als solches übersetzen müssen:
Tertia ab omnibus laudātur. Quae puella rēvērā pulcherrima est. – Tertia wird von allen
gelobt. Dieses Mädchen ist tatsächlich sehr hübsch.
Relativische Verschränkungen
Relativsätze lassen sich mit anderen untergeordneten Handlungen verschränken. Die Schwierigkeit beim Übersetzen liegt in der Doppelfunktion des Relativpronomens: Es leitet einerseits den Relativsatz ein, richtet sich in seinem Kasus aber nach einer weiteren Handlung, die der Relativsatzhandlung untergeordnet ist.
Verschränkung
mit aci
Ein Verschräkung von Relativsatz und aci lässt sich nur dann wörtlich ins Deutsche übertragen, wenn wir auch im Deutschen einen aci bilden können, also nach den Verben der sinnlichen Wahrnehmung:
Marcus, quem herī rīdēre vīdimus, hodiē flet. – Marcus, den wir gestern haben lachen sehen, weint heute.
Ansonsten müssen wir die beiden Nebenhandlungen trennen, wobei wir gewöhnlich zwei Möglichkeiten haben. Entweder wir bilden einen Relativsatz mit abhängigem dass-Satz, oder wir machen die Handlung des aci zur Handlung des Relativsatzes und schieben die eigentliche Relativsatzhandlung ein:
Marcus, quem semper rīsisse scīmus, hodiē flet.
a) Marcus, von dem wir wissen, dass er gestern gelacht hat, weint heute.
b) Marcus, der, wie wir wissen, gestern gelacht hat, weint heute.
Verschränkung
mit Partizipial-
konstruktion
Eine Verschränkung von Relativsatz und Partizipialkonstruktion lässt sich am einfachsten wiedergeben, indem man die Partizipialkonstruktion als substantivierte Handlung in den Relativsatz einbaut:
Marcus, quō cantante omnēs fugere solent, hodiē tacet. – Marcus, bei dessen Gesang alle gewöhnlich fliehen, schweigt heute.
Hic liber, quem legentēs omnēs horrent, mihī placet. – Dieses Buch, bei dessen Lektüre alle erschaudern, gefällt mir.
Schwieriger wird es, wenn das Relativpronomen nicht das Subjekt oder Objekt der Partizipial- handlung ist, sondern eine Funktion im obliquen Kasus hat (was zum Glück selten vorkommt):
Hic liber, cuius titulum legentēs omnēs iam horrent, mihī placet. – Dieses Buch, bei dem alle schon beim Lesen des Titels erschaudern, gefällt mir.
Hic liber, cuius titulō lēctō omnēs fugere solent, mihī placet. – Dieses Buch, bei dem alle schon nach dem Lesen des Titels zu fliehen pflegen, gefällt mir.
Verschränkung
mit anderem Nebensatz
Relativsätze können nicht nur mit Infinitiv- und Partizipialkonstruktionen verschränkt sein, sondern auch mit anderen Nebensätzen, also mit indirekten Fragesätzen, mit Konjunktional- sätzen oder sogar mit anderen Relativsäzten. Dabei ergeben sich zuweilen recht abgehobene Konstruktionen, für deren Übersetzung es keine "Kochrezepte" gibt. Hier sind Intuition und Sprachgefühl gefragt.
Haec causa, quae ut orta sit nōndum satis comperī, ... – Dieser Fall, von dem ich noch nicht hinreichend in Erfahrung gebracht habe, wie er entstanden ist, ...
Alexander, cuius sī vīta longior fuisset tōtum orbem terrārum subēgit, ... – Alexander, der, wenn sein Leben länger gewesen wäre, die ganze Welt unterworfen hätte, ...
Quālia ista bona sunt, quae quī habeat, miserrimus esse possit? – Was sind das für Güter,
in deren Besitz man der elendste Mensch sein kann?
4.6.1 Zeitenfolge in Nebensätzen 4.6.3 Vergleichssätze 4.6.4 Indirekte Fragesätze 4.6.5 Konjunktionalsätze
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