Tempusgebrauch in indikativischen Nebensätzen
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Zeitenfolge bei
bezogenem Tempus |
Die Vorzeitigkeit wird wie im Deutschen als vollendete Handlung ausgedrückt, also
bei einem übergeordneten Tempus der Vergangenheit durch das Plusquamperfekt, bei einem übergeordneten
Tempus der Gegenwart durch das Perfekt und bei einem übergeordneten Tempus der Zukunft durch das Futur II:
Bene dormīvit, quod anteā labōrāverat. – Er schlief gut, weil er vorher gearbeitet hatte.
Bene dormit, quod anteā labōrāvit. – Er schläft gut, weil er vorher gearbeitet hat. Bene dormiet, quod anteā labōrāverit. – Er wird gut schlafen, weil er vorher gearbeitet haben wird. Die Gleichzeitigkeit wird bei einem übergeordneten
Tempus der Vergangenheit normalerweise durch das Imperfekt ausgedrückt (= länger andauernde
Hintergrundhandlung), bei einem übergeordneten Tempus der Gegenwart durch das Präsens und bei einem
übergeordneten Tempus der Zukunft – abweichend vom Deutschen – durch das Futur I.
Diese strenge Gleichzeitigkeit, bei der im Nebensatz dasselbe Tempus gebraucht wird wie
im Hauptsatz und die bei einem übergeordneten Präsens oder Futur die Regel ist, findet man auch bei
übergeordneten Tempora der Vergangenheit, wenn die Nebenhandlung von gleich langer Dauer ist; daher
häufiger bei den Konjunktionen dum und quoad (solange), bei faktischem quod (dadurch dass) und bei cum
identicum (wobei):
Tē vocāre nōn audīvit, quod dormiēbat. – Er hörte dich nicht
rufen, weil er schlief.
aber: Tē audīre nōn potuit, quoad dormīvit. – Er konnte dich nicht hören, solange er schlief. Tē nōn audit, quod dormit. – Er hört dich nicht, weil er schläft.
Tē nōn audiet, quod dormiet. – Er wird dich nicht hören, weil er schläft / schlafen wird. Als übergeordnetes Tempus der Vergangenheit gelten nicht nur Imperfekt, Perfekt und
Plusquamperfekt, sondern z.B. auch das historische Präsens. Umgekehrt gelten resultative Perfektformen
meistens als Tempus der Gegenwart, insbesondere erstarrte Perfecta wie meminisse (sich erinnern), nōvisse
(kennen) oder ōdisse (hassen). Als Handlungen mit futurischem Sinn gelten auch der Imperativ II, auffordernde
Konjunktive, Gerundiva mit esse und andere Ausdrücke des Müssens oder Könnens:
Rēctōrem, quī scholae praeerit (Fut. I), salūtantō! – Sie sollen
dem jeweils amtierenden Schulleiter ihre Aufwartung machen!
Puerōs, quī didicerint (Fut. II), laudārī oportet. – Es gehört sich, die Jungen, die gelernt haben, zu loben. Die coniugatio periphrastica (activa) bietet die Möglichkeit, die Nachzeitigkeit
zu allen übergeordneten Tempora auszudrücken. Die dabei verwendeten Formen von esse orientieren sich an
den Regeln der Gleichzeitigkeit:
Illum virum, quī ōlim rēx Francōrum futūrus erat, amāvit.
– Sie liebte jenen Mann, der dereinst der König der Franken sein würde.
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selbständiges
(absolutes) Tempus |
Das absolute Tempus wird vor allem in indikativischen Temporalsätzen gebraucht,
wenn diese eine einmalige Handlung angeben. Irritierend ist für uns dieser Gebrauch vor allem bei einem
übergeordnetem Tempus der Vergangenheit. Auch dann nämlich wird z.B. bei dum (während)
das Päsens zum Ausdruck der Gleichzeitigkeit verwendet, bei postquam (nachdem) sowie bei ut,
ubī, cum prīmum (sobald) das Perfekt zum Ausdruck der Vorzeitigkeit:
Dum lūdunt, librum lēgī. – Während sie spielten, las ich ein Buch.
Postquam / ubī lūsērunt, dormīvī. – Nachdem / sobald sie gespielt hatten, schlief ich. Ansonsten findet man selbständiges Tempus vor allem in kommentierenden oder
erläuternden Relativsätzen u.ä.:
Deinde Marcum, quī, ut scīs, frāter Gāī nostrī fuit,
vīsitāverat. – Dann hatte er Marcus besucht, der, wie du weißt, ein Bruder unseres Gaius
gewesen ist.
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Tempusgebrauch in konjunktivischen Nebensätzen
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Die Vorzeitigkeit wird bei einem übergeordneten Tempus der Vergangenheit durch den
Konjunktiv Plusquamperfekt, bei einem übergeordneten Tempus der Gegenwart oder Zukunft durch den Konjunktiv
Perfekt ausgedrückt:
Nescīvit, quid fēcissem. – Er wusste nicht, was er getan hatte.
Nescit / nesciet, quid fēcerit. – Er weiß nicht / wird nicht wissen, was er getan hat. Die Gleichzeitigkeit wird bei einem übergeordneten Tempus der Vergangenheit durch
den Konjunktiv Imperfekt, bei einem übergeordneten Tempus der Gegenwart oder Zukunft durch den Konjunktiv
Präsenes ausgedrückt:
Nescīvit, quid faceret. – Er wusste nicht, was er tat.
Nescit / nesciet, quid faciat. – Er weiß nicht / wird nicht wissen, was er tut. Die Nachzeitigkeit wird in vielen konjunktivischen Nebensätzen, insbesondere in
Finalsätzen, nicht gesondert ausgedrückt, sondern wie Gleichzeitigkeit behandelt. Wenn die Nachzeitigkeit
wie in indirekten Fragesätzen ausgedrückt wird, dann durch die coniugatio periphrastica (activa). Die
dabei verwendeten Formen von esse orientieren sich an den Regeln der Gleichzeitigkeit:
Nescīvit, quid factūrus esset. – Er wusste nicht, was er tun würde.
Nescit / nesciet, quid factūrus sit. – Er weiß nicht / wird nicht wissen, was er tun wird. |
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selbständiges
(absolutes) Tempus |
In Konsekutivsätzen, bei denen keine inhaltliche Abhängigkeit von der
übergeordneten Handlung vorliegt, ist auch selbständiger Tempusgebrauch möglich, z.B.
Konjunktiv Perfekt nach einem übergeordneten Tempus der Vergangenheit:
Biberat, ut posterō diē vīnum redoluerit. – Er hatte getrunken, so dass er
am nächsten Tag nach Wein stank.
Auch der deliberative und potentiale Konjunktiv wird selbständig gesetzt. Mit dem
Konjunktiv Imperfekt wird daher nicht nur der Deliberativus oder Potentialis der Gleichzeitigkeit bei
übergeordnetem Tempus der Vergangenheit ausgedrückt, sondern auch der Deliberativus und Potentialis der
Vergangenheit (unabhängig vom übergeordneten Tempus):
gleichzeitig:
Nescit, quid faciat. – Er weiß nicht, was er tun soll / könnte. Nescīvit, quid faceret. – Er wusste nicht, was er tun sollte / könnte. vorzeitig:
Nescit, quid faceret. – Er weiß nicht, was er hätte tun sollen / können. Nescīvit, quid faceret. – Er wusste nicht, was er hätte tun sollen / können. |