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Ralf Schuricht: Taratalla. Latein Grammatik, 2009 <www.taratalla.de>.

4.2 Kasusfunktionen

4.2.3 Akkusativ

Der Akkusativ wird zum allergrößten Teil in Verbindung mit Verben gebraucht. Bei transitiven Verben bezeichnet er im Gegensatz zum indirekten Dativobjekt das direkte Objekt der Handlung, also die Person oder Sache, auf die die Handlung direkt einwirkt. Daneben dient der Akkusativ vor allem als Richtungsangabe, vor allem bei Verben der Bewegung.
Akkusativ als
direktes Objekt
Bei transitiven Verben:
Dominus servum verberat. – Der Herr verprügelt seinen Sklaven.
Magister discipulōs laudat. – Der Lehrer lobt seine Schüler.
Bei einigen intransitiven Komposita (insbesondere mit circum-, praeter- und trāns-):
Peloponnēsum circumvehī – die Peloponnes umsegeln (= um die P. segeln)
Rōmam praeterfluere – an Rom vorbeifließen
flūmen trānsīre – einen Fluss überqueren (= über einen F. gehen)
hominem alloquī – den Mann ansprechen (= zu dem M. sprechen)
Bei den meisten Verben der Gemütsbewegung:
mortem dolēre – einen Todesfall betrauern / trauern über ...
iniūriās querī – Ungerechtigkeiten beklagen / klagen über ...
hominem dērīdēre – den Mann auslachen / lachen über
Bei anderen, im Deutschen eher intransitiven Verben:
Graecōs adaequāre – den Griechen gleichkommen
amīcum adiuvāre – einem Freund helfen
canem cavēre – sich vor dem Hund hüten
aqua incolās dēficit – den Einwohnern geht das Wasser aus
bestiam fugere – vor dem wilden Tier fliehen
hostēs sequī – die Feinde verfolgen / den Feinden folgen
inimīcum ulcīscī – sich am Feind rächen
aber auch:
patrem ulcīscī – den Vater rächen / sich für den Vater rächen
mīlitēs (aliquid facere) iubēre – den Soldaten befehlen (etwas zu tun)
servōs (aliquid facere) vetāre – den Sklaven verbieten (etwas zu tun)
Bei unpersönlichen Ausdrücken der Empfindung wie piget, pudet, paenitet, taedet, miseret steht die Person im Akkusativ, das Empfundene im Genetiv:
mē piget (alicuius reī) – ich ärgere mich (über etwas)
mē pudet (alicuius reī) – ich schäme mich (für etwas)
mē paenitet (alicuius reī) – ich bereue (etwas)
mē taedet (alicuius reī) – mich ekelt (etwas) an
mē miseret (alicuius hominis) – ich habe Mitleid (mit jemandem)
Auch bei einigen anderen unpersönlichen Ausdrücken steht die Person im Akkusativ:
mē decet (aliquid facere) – mir geziemt sich (etwas zu tun)
mē iuvat (aliquid facere) – mich erfreut (etwas zu tun)
Akkusativ als
inneres Objekt
Von einem inneren Objekt spricht man, wenn ein Akkusativobjekt keine von der Handlung strikt getrennte Person oder Sache bezeichnet, sondern nur einen Aspekt der Handlung wiederaufgreift, sie inhaltlich verstärkt oder einschränkt. Am auffälligsten sind innere Objekte bei stammverwandten Verben:
beātam vītam vīvere – ein glückliches Leben führen
ācerrimam pūgnam pūgnare – einen äußerst heftigen Kampf ausfechten
Als innere Objekte gelten aber auch Pronomina im Akkusativ des Neutrums, die bei Verben stehen, die ansonsten keine Substantive als Akkusativobjekte bei sich dulden:
id studeō – ich bemühe mich darum (aber substantivisch: litterīs studeō)
nihil gaudiō – ich freue mich über nichts (aber substantivisch: tuō adventū gaudeō)
illud glōrior – ich rühme mich dessen (aber substantivisch: dē victōriā glōrior)
id tē prohibeō – daran hindere ich dich nicht (ansonsten: tē redīre / ā reditū prohibeō)
Eher selten und dichterisch ist der sogenannte accusativus Graecus, ein Akkusativ der Beziehung, der – ähnlich wie ein indirektes Objekt bei Verben – bei Adjektiven oder Partizipien angibt, in welcher Hinsicht die Eigenschaft gilt:
puella flāva comās – ein Mädchen mit blonden Haaren (= blond in Bezug auf die Haare)
fēminae Germānōrum nūdae bracchia et lacertōs – die Frauen der Germanen sind nackt an
den Ober- und Unterarmen
Doppelter
Akkusativ
Bei docēre und cēlāre, bei denen sowohl die Person als auch die Sache im Akkusativ steht:
Puerōs linguam Latīnam doceō. – Ich lehre die Kinder die lateinische Sprache.
Senātum mortem rēgis cēlāvit. – Er verheimlichte den Tod des Königs vor dem Senat.
Ansonsten mit prädikativer Komponente bei Verben wie "ernennen / wählen / machen zu", "beurteilen / halten für", "geben / nehmen als" oder "sich zeigen / erweisen als":
Brūtum cōnsulem prīmum creāvērunt. – Sie wählten Brutus zum ersten Konsul.
Britanniam prōvinciam reddidit. – Er machte Britannien zur Provinz.
Polycratem hominem beātum habēbant. – Sie hielten P. für einen glücklichen Menschen.
Miltiadem imperātōrem sūmpsērunt. – Sie nahmen sich Miltiades zum Feldherrn.
Mūcius Scaevola sē fortem praebuit. – Mucius Scaevola erweis sich als tapfer.
Akkusativ
des Ausrufs
Teils alleinstehend, teils in Verbindung mit Interjektionen; wahrscheinlich zurückzuführen auf Verbindung mit Verben wie "Sieh mich Elenden!" oder "Ich flehe die Götter an.":
Heu, mē miserum! – Ach, ich Elender!
Ō vōs ignāvōs! – O ihr Faulpelze!
Prō deōrum fidem! – Bei allem, was den Göttern heilig ist!
Vornehmlich als Adverbialbestimmung tritt der Akkusativ ohne Präposition in folgenden Funktionen auf:
Richtungs-
akkusativ
Richtungsakkusative ohne Präposition werden vor allem von Städtenamen und kleineren Inseln gebildet. Bei gößeren Inseln wie Sizilien oder Britannien wird die Präposition "in" verwendet:
Rōmam contendō. – Ich eile nach Rom.
Athēnās vēnerat. – Er war nach Athen gekommen.
Servōs Dēlum mīsit.– Er schickte die Sklaven nach Delos.
aber:
In Britanniam venīte! – Kommt nach Britannien!
Tritt eine Apposition hinzu, wird bei dieser gewöhnlich auch die Präposition ergänzt:
In urbem Rōmam contendō. – Ich eile in die Stadt Rom.
Athēnās in urbem maximam Graeciae vēnit. – Er kam nach A., in die größte Stadt von G.
Auch domum (nach Hause) und rūs (aufs Land) stehen gewöhnlich ohne Präposition, sofern kein adjektivisches Attribut dabeisteht:
Rōmānī, īte domum! – Römer, geht nach Hause!
Servōs rūs mittit. – Er schickt die Sklaven aufs Land.
aber:
In domum veterem īte! – Geht in das alte Haus!
Akkusativ der
räuml. und zeitl.
Ausdehnung
Als Höhen-, Tiefen-, Breiten- und Längenangabe bei den Adjektiven altus, lātus und longus (nicht aber bei māgnus, crassus oder prōfundus!):
vīgintī duōs pedēs altus, lātus, longus – 22 Fuß hoch/tief, breit, lang
Als Entfernungsangabe bei Verben:
Decem milia passuum Romā absum / dīstō. – Ich bin zehn Meilen von Rom entfernt.
Dūcentōs passūs discēdunt. – Sie gehen zweihundert Schritte auseinander.
Als Angabe der zeitlichen Dauer von Zuständen oder Handlungen, ferner als Altersangabe bei nātus; zuweilen auch mit Ordnungs- statt Kardinalzahlen:
Iam duōs diēs labōrat. – Er arbeitet schon zwei Tage lang.
Lūcius trīgintā annōs nātus est. – Lucius ist dreißig Jahre alt.
Alexander mortuus est trīgintā trēs annōs nātus. – A. ist im Alter von 33 Jahren gestorben.
Mithridātēs annum iam tertium et vīcēsimum rēgnat. – M. herrscht schon das 23. Jahr.
(= Mithridātēs iam vīgintī duōs annōs rēgnat. – Mithridates herrscht schon seit 22 Jahren.)
4.2.1 Genetiv 4.2.2 Dativ 4.2.4 Ablativ 4.2.5 Vokativ
© 2009 R. Schuricht <www.taratalla.de>