<<  | Kap. 4.1.1 |  >>

Ralf Schuricht: Taratalla. Latein Grammatik, 2009 <www.taratalla.de>.

4.1 Subjekt und Prädikat

4.1.1 Kongruenz

Subjekt und Prädikat bilden den Kern eines Satzes. Das Subjekt steht stets im Nominativ. Bei der Bildung des Prädikates ist die Kongruenz zum Subjekt zu beachten, also die Übereinstimmung in Person (1./2./3.), Numerus (Sg./divl.), Genus (mask./fem./neutr.) und Kasus (hier: Nominativ).
Kongruenz bei
einfachem
Subjekt
Als separate Subjekte können nicht nur Eigennamen, Nomina und Pronomina fungieren, sondern auch Infinitive und Nebensätze. Die finite Verbform des Prädikates stimmt in Person und Numerus mit dem Subjekt überein.
Marcus lūdit. – Marcus spielt.
Puellae gaudent. – Die Mädchen freuen sich.
Egō rīdeō – Ich lache.
Quis clāmat? – Wer ruft da?
Lūdere iuvat. – Spielen macht Spaß.
Quī āllium ēdit, nōn bene olet. – Wer Knoblauch gegessen hat, riecht nicht gut.
Quandō veniat, ab omnibus quaeritur. – Von allen wird gefragt, wann er kommt.
Ist das Subjekt eindeutig, genügt im Lateinischen die Personalendung des Prädikats, um das Subjekt auszudrücken. Es fehlt also nicht, sondern ist im Prädikat enthalten! Im Deutschen geht das gelegentlich auch, klingt aber sehr nach Telegrammstil (z.B. "Bin in Frankfurt. Komme morgen zurück."). Normalerweise ergänzen wir (außer beim Imperativ) die entsprechenden Personal- pronomina im Nominativ:
Lūdit. – Er spielt.
Rīdeō – Ich lache.
Gaudent. – Sie freuen sich.
Tandem labōrāte! – Arbeitet (ihr wohl) endlich!
Bei der Bildung von prädikativen Adjektiven und Partizipien sind auch noch Kasus und Genus zu beachten. Infinitive und Adverbialsätze gelten als Neutrum (Singular).
Marcus laudātus est. – Marcus ist gelobt worden.
Puellae pulchrae sunt. – Die Mädchen sind hübsch.
Nōs doctī sumus. – Wir sind gebildet.
Quī scrībere nescit, stultus est. – Wer nicht schreiben kann, ist dumm.
Lūdere iūcundum est. – Spielen ist angenehm.
Quandō veniat, incertum est. – Wann er kommt, ist ungewiss.
Auch bei prädikativen Substantiven wird vollständige KNG-Kongruenz angestrebt, sofern das Substantiv in unterschiedlichen Geschlechtern zur Verfügung steht:
Vōs puerī (puellae) mihī amīcī (amīcae) estis. – Ihr seid meine Freunde (Freundinnen).
Marcus (Tertia) victor (victrīx) est. – Marcus (Tertia) ist Sieger(in).
aber:
Rōmānī fuerunt populus fortissimus. – Die Römer waren ein sehr tapferes Volk.
Kongruenz bei
mehreren Subjekten
Bei einer Aufzählung von mehreren Personen steht die finite Verbform des Prädikates gewöhnlich im Plural. Hinsichtlich der Person hat die 1. Person Vorrang vor der 2., die 2. Vorrang vor der 3.:
Lūcius et Tertia accurrunt. – Lucius und Tertia laufen herbei.
Lūcius et egō in fossam cecidimus. – Lucius und ich sind in den Graben gefallen.
Tu et Lūcius hoc fēcistis. – Du und Lucius habt das getan.
Bei prädikativen Adjektiven, Partizipien und (sofern möglich) Substantiven ist wieder die vollständige KNG-Kongruenz zu beachten:
Tertia et Claudia laudātae sunt. – Tertia und Claudia sind gelobt worden.
Lūcius et Marcus stultī sunt. – Lucius und Marcus sind dumm.
Lūcius et egō ē fossā servātī sumus. – Lucius und ich wurden aus dem Graben gerettet.
Wird das Subjekt durch mehrere Personen unterschiedlichen Geschlechts gebildet, steht das Prädikat immer im Plural des Maskulinums, also auch wenn es nur um eine männliche und viele weibliche Personen geht:
Lūcius et Tertia mihī amicī sunt. – Lucius und Tertia sind meine Freunde.
Pūblius et omnēs sorōrēs servātī sunt. – Publius und alle seine Schwestern wurden gerettet.
Werden mehrere Personen nicht als zusammengehörige Gruppe aufgefasst, sondern durch entsprechende Partikel als getrennt handelnde Subjekte gekennzeichnet, richtet sich das Prädikat gewöhnlich nach dem nächststehenden Subjekt (eigentlich wie im Deutschen):
Nōn egō, sed tū hoc dīxistī. – Nicht ich, sondern du hast das gesagt.
Nōn egō hoc dīxī, sed tū. – Nicht ich habe das gesagt, sondern du.
Aut tū aut Lūcius hoc fēcit. – Entweder du oder Lucius hat das getan.
Aut tū hoc fēcistī aut Lūcius. – Entweder hast du das getan oder Lucius.
Neque tū neque Tertia ab eō amāta est. – Weder du noch Tertia ist von ihm geliebt worden.
Neque tū ab eo amāta ēs neque Tertia. – Weder bist du von ihm geliebt worden noch Tertia.
Auch wenn das Subjekt aus mehreren Sachen (oder Personen und Sachen) besteht, richtet sich das Prädikat gewöhnlich nach dem nächststehenden Subjekt:
Prīncipātus atque imperium ei trāditur. – Ihm werden Führung und Oberkommando übertragen.
Plaustrum et serva secūta est. – Der Wagen und die Sklavin folgten.
Serva et plaustrum secūtum est. – Die Sklavin und der Wagen folgten.
Mūrus et porta dēfēnsa est. – Mauer und Tor wurden verteidigt.
Es gibt jedoch diverse Ausnahmen. So ist bei der Aufzählung von Sachen auch ein Prädikat im Neutrum Plural erlaubt. Der letzte Satz könnte also auch lauten:
Mūrus et porta dēfēnsa sunt. – Mauer und Tor wurden verteidigt.
Eine weitere Ausnahme ist die sogenannte constructio ad sensum. Sie entsteht, wenn sich das Prädikat in Numerus und Genus nicht nach der grammatikalischen Form des Subjekts, sondern nach dessen Sinn richtet. Doch solche Konstruktionen sind eher selten und finden sich vornehmlich bei Kollektivbegriffen wie z.B. multitūdō, pars oder populus:
Māgna multitūdō hominum convenēnerant. – Eine große Menge Menschen war zusammen gekommen.
Besteht das Subjekt aus mehreren Infinitiven und adverbialen Fragesätze, steht das Prädikat trotzdem stets im Neutrum Singular:
Cantāre et saltāre iūcundum est. – Zu singen und zu tanzen ist angenehm.
Ubī sit vel quandō venturus sit, ignōtum est. – Wo er ist oder wann er kommt, ist unbekannt.
Kongruenz bei anderen nominalen Satzergänzungen
Kongruenz findet man nicht nur zwischen Subjekt und Prädikat, sondern auch zwischen attributiven oder prädikativen Satzergänzungen und ihren Beziehungswörtern.
attributive
Ergänzungen
Für Demonstrativpronomina, adjektivische Attribute und (substantivische) Appositionen gelten im Wesentlichen dieselben Regeln der KNG-Kongruenz, wie sie oben für die Kongruenz zwischen Subjekt und Prädikat beschrieben worden sind:
Illae puellae pulchrae lūdunt. – Jene hübschen Mädchen spielen.
Horātius poēta doctus recitat. – Horaz, der gelehrte Dichter, liest vor.
Lūcius et Tertia, amicī meī [Maskulinum!], lūdunt. – Lucius und Tertia, meine Freunde, spielen.
Da Eigennamen normalerweise nicht direkt durch adjektivische Attribute ergänzt werden dürfen, findet man oft ein Demonstrativpronomen zwischen Namen und Adjektiv:
Marcus ille stultus natāre nescit. – Der Dummkopf Marcus kann nicht schwimmen.
Bezieht sich ein attributives Adjektiv auf mehrere Substantive (egal ob Person oder Sache), so wird es der Aufzählung entweder voran- oder nachgestellt und richtet sich im Genus nach dem nächststehenden Substantiv. Zur besonderen Betonung kann es auch bei jedem einzelnen Substantiv wiederholt werden:
Multī fīliī et fīliae aderant. – Viele Söhne und Töchter waren anwesend.
Fīliī et fīliae multae aderant. – Viele Söhne und Töchter waren anwesend.
Multī fīliī et multae fīliae aderant. – Viele Söhne und viele Töchter waren anwesend.
Attributive Ergänzungen gibt es natürlich nicht nur zum Subjekt, sondern auch in allen anderen Kasus:
Pater amīcī optimī Tertiae illī pulchrae dīxit. – Der Vater meines besten Freundes sagte zur schönen Tertia.
Anno proximō Lūcium et Tertiam, amicōs meōs, vīdī. – Letztes Jahr habe ich Lucius und Tertia, meine Freunde, gesehen.
Prädikativum
Die oben für prädikative Adjektive und Substantive beschriebenen Regeln gelten im Wesentlichen auch für Prädikativa im engeren Sinne, also für freie Satzergänzungen, die die vorübergehende Eigenschaft einer Person oder Sache während einer Handlung beschreiben:
Hannibal iam puer Carthāgine discessit. – Hannibal verließ Karthago schon als Junge.
Germānī nōn sociī, sed hostēs appropinquābant. – Die Germanen näherten sich nicht als
Verbündete, sondern als Feinde.
Volō eum aut vīvum aut mortuum. – Ich will ihn tot oder lebendig haben.
Vor allem zur handlungsbegleitenden Darstellung von Gemütszuständen bevorzugt der Lateiner prädikative Konstruktionen. Anders als im Deutschen, wo der Unterschied zum Adverb nicht erkennbar ist, muss also die KNG-Kongruenz zum Subjekt beachtet werden:
Puellae laetae domum veniunt. – Die Mädchen kommen fröhlich nach Hause.
Puerī et puellae laetī (!) domum veniunt. – Die Jungen u. Mädchen kommen fröhlich heim.
Anders als im Deutschen werden nicht nur einige zeitliche, sondern auch einige räumliche Verhältnisse durch prädikative Adjektive ausgedrückt:
prīmus / ultimus / sōlus venīre – als erster / als letzter / allein kommen
mediō in forō – mitten auf dem Forum (= auf dem Forum, da wo dessen Mitte ist)
summō in monte – auf dem Gipfel des Berges (= auf dem Berg, da wo er am höchsten ist)
4.1.2 Tempus 4.1.3 Modus 4.1.4 Genus verbi
© 2009 R. Schuricht <www.taratalla.de>