Ablaut
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Als Ablaut bezeichnet man die regelmäßige
Veränderung der Qualität und/oder Quantität von Vokalen in zusammengehörigen Wörten
oder Wortformen.
Ein qualitativer Ablaut wird auch als Vokalabtönung
bezeichnet. Am bekanntesten ist die e/o-Abtönung, wie sie bei tegere (bedecken) und toga
(wörtl.: Körperbedeckung) vorliegt. Auch bei der Bildung des Vokativs in der o-Deklination
liegt eine solche Abtönung vor: domino-s (Nom.), domine (Vok.)
Verändert sich die Quantität eines Vokals,
unterscheidet man Voll-, Dehn- und Schwundstufen einer Silbe. Am auffälligsten ist dieser Vorgang
beim Dehnungsperfekt zu beobachten: Vollstufe im Präsenz (z.B. legō), Dehnstufe im Perfekt
(lēgī). Auch das dazugehörige Substantiv lēx wird mit der Dehnstufe gebildet (ebenso bei
regō / rēgī / rēx).
Schwundstufen findet man oft bei Verben mit Präsensreduplikation, z.B. bei gi-gn-e-re
(vgl. die Vollstufe beim Substantiv gen-us). Die Bildung der Schwundstufe muss nicht immer den vollständigen
Verlust des Vokals -e- bedeuten. Viele Schwundstufen haben einen schwachen Murmelvokal behalten, der dann zu -a-
abgetönt wurde wie z.B. bei den Präsensstämmen der Verben agere, facere, capere etc., deren
Dehnungsperfekte bekanntlich mit -ē- gebildet wird (ēgī, fēcī, cēpī).
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Kontraktion und
Assimilation |
Wenn unmittelbar aufeinander folgende Vokale einander
angeglichen wurden, wurden sie nicht bloß assimiliert, sondern gleich kontrahiert, z.B. cōgere aus
cō-agere (zwingen) oder praebēre aus prae-hibēre (darreichen). Wie man sieht,
bewirkte -h- keine echte Trennung der Vokale.
Vokalassimilation finden wir eher zwischen Vokalen benachbarter
Silben. So wurde z.B. aus ne-hīlum nihil (oder auch kontrahiert nīl) oder aus dvenos dvonos (später
bonus), während das Adverb dvene (später bene) das ursprügliche -e- in der Stammsilbe behielt.
Auch die Konsonanten in der unmittelbaren Umgebung konnten
eine Veränderung der Vokalfarbe bewirken, vor allem ein nachfolgendes -l-, da es je nach Umgebung zwei
unterschiedliche L-Laute gab. So blieb -el- vor -i- und -l- unverändert erhalten (velim, velle),
während vor den übrigen Vokalen eine Assimilation zu -ol- erfolgte (volebam, volo, volunt), vor den
übrigen Konsonanten jedoch zu -ul- (vult).
Ferner verwandelte sich -vo- vor -r-, -s- und -t- gewöhnlich zu -ve- (z.B. vester
aus voster; versus aus vorsus).
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Vokaldehnung
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Der Schwund eines -s- bewirkte Ersatzdehnung, z.B. bei
pōnere (Wurzel: pos-; Präsens- stammbildung mit Nasalinfix: posn-); vgl. die übrigen Stammformen:
posui, positum.
Eine ähnliche Ersatzdehnung trat grundsätzlich bei Vokalen vor -ns- und -nf- ein.
Diese Vokale wurden nur noch als (lange) nasalierte Vokale gesprochen, der Nasal oft nicht einmal mehr
ausgeschrieben; siehe z.B. die Abkürzung COS für cōnsul.
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Monophthongi-
sierung |
Viele Diphthonge indogermanischen Ursprungs konnten sich zwar noch bis ins Altlateinische halten,
wurden dann aber zu langen Vokalen monophthongisiert, z.B. oinos zu ūnus (einer) oder loucos zu
lūcus (Lohe, Wäldchen). Verschont von diesem Prozess blieben insbesondere -ae- und -au-.
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Abschwächung
von Mittel- und Endsilben |
Die wohl am häufigsten zu bebachtende Lautveränderung
ist wohl die Abschwächung von Mittel- und Endsilben, die man sich damit erklärt, dass es in
vorhistorischer Zeit eine feste Betonung der ersten Silbe gegeben zu haben scheint. Die Abschwächung der
nachfolgenden Silben erfolgte entweder qualitativ durch Abschwächung der Vokalfarbe oder quantitativ durch
Vokalkürzung.
Die Diphthonge -ae- und -au- wurden, wenn sie durch
vorangestellte Präfixe zu Mittelsilben wurden, zu -ī- und -ū-: vgl. z.B. laedere –
collīdere, aestimāre – exīstimāre, claudere – conclūdere.
Kurze Vokale wurden in Mittelsilben meistens zu -i-: vgl. z.B.
cadere – accidere, legere – colligere, caput – capitis, mīles – mīlitis.
Vor -r- erfolgte die Abschwächung allerdings zu -e- (z.B. pariō – peperī),
vor -la-, -lo- und -lu- zu -u- (z.B. similis – simulāre).
Auch vor -m- und Lippenlauten konnte eine Abschwächung zu -u- erfolgen (z.B. docēre –
documentum).
In Endsilben wurden die Diphthonge -oi- und -ai- gewöhnlich
zu einem langen -ī- , z.B. dominī aus dominoi; dominīs aus dominois bzw. dominais, im Dat. Sg.
allerdings auch dominō aus dominoi.
Ein kurzes -o- wurde meistens zu -u-, wofür die Endungen
der o-Deklination das bekannteste Beispiel bieten (dominus aus dominos); ähnlich bei tempus (vgl.
Gen. temporis).
Die quantitative Abschwächung von Endsilben wird vor allem in den langvokalischen
Konjugationen sichtbar. Nur vor -s blieb z.B. das lange -ā- von amāre erhalten: amō, amās,
amat ... amant.
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Vokalschwund
und -entfaltung |
Gelegentlich wurde ein kurzer Vokal zwischen Konsonanten
ausgestoßen. So entstand z.B. surgere aus surregere (vgl. Dehnungsperfekt surrēxī) oder
valdē aus validē. Bei rettulī verrät das doppelte -tt- noch das urspüngliche
Reduplikationsperfekt retetulī.
Auch im Auslaut konnte sich ein kurzes -e oft nicht halten.
So finden wir das Zeigepartikel -ce zwar noch vollständig in ecce, während das -e in hic haec hoc
schon abgeschliffen ist. So lassen sich auch die Nebenformen z.B. von nec zu neque oder ac zu atque erklären.
Eher selten ist die Vokalentfaltung, um Konsonantengruppen zwecks leichterer Aussprache
aufzuspalten, z.B. bei ager aus agr(o)s (nach Ausstoß des -o-).
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