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Ralf Schuricht: Taratalla. Latein Grammatik, 2009 <www.taratalla.de>.

1.1 Aussprache

Heutzutage gilt Latein als eine "tote" Sprache, die nicht mehr gesprochen, sondern nur noch gelesen wird. Latein war aber viele hundert Jahre lang eine höchst lebendige Sprache, die sich im Zuge der Ausdehnung des Römischen Reiches über die ganze westliche Mittelmeerwelt verbreitete. Die Aussprache variierte daher selbst in der Antike sowohl regional als auch in der zeitlichen Dimension. Nach dem Untergang des Römischen Reiches und der Herausbildung der modernen romanischen Sprachen lebte das Lateinische als Kirchenlatein und später als Universitätslatein fort. Es wäre also vermessen, nur eine einzige Aussprachevariante als richtig gelten zu lassen und alle anderen als falsch zu verdammen.
Gleichwohl orientierte man sich schon in der Antike im lateinischen Sprach- und Rhetorikunterricht an dem Latein, das Caesar und Cicero im 1. Jh. v. Chr. gesprochen und geschrieben hatten. Dieses "klassische" Latein ist auch heute noch die Richtschnur im schulischen Lateinunterricht. Es lohnt sich daher, die eigene Aussprache des Lateinischen an die damals gängige Aussprache zumindest anzunähern, um ein Gefühl dafür zu bekommen, dass man es mit einer einst lebendigen Sprache zu tun hat.

Einfache Vokale und Diphthonge (Doppellaute)
a, e, i, o, u, (y)
Die einfachen Vokale können in kurzer und langer Form vorliegen. Kurze Vokale sind offen auszusprechen, lange Vokale geschlossen, also ähnlich wie im Deutschen.
Das lateinische -i- ist eigentlich ein Halbvokal, der vor anderen Vokalen konsonantisch als -j- auszusprechen ist.
Auch das -u- ist eigentlich nur eine mittelalterliche Schreibschriftvariante für den lateinischen Halbvokal -v-. Moderne Textausgaben und Lehrbücher verdeutlichen jedoch den Unterschied zwischen vokalischem -u- und konsonatischem -v- bereits in der Schreibweise.
Das -y- (gesprochen -ü-) erscheint nur in griechischen Lehnwörtern.
ae, au, ei, eu, oe, ui
Diphthonge (Doppelllaute) gelten immer als lang.
Die Diphthonge -ae- und -oe- wurden zur Zeit Ciceros zumindest von der gebildeten Oberschicht -ai- und -oi- ausgesprochen. In England wird diese Aussprache des Lateinischen noch heute bevorzugt. In Deutschland hat sich dagegen die spätere Aussprache -ä- und -ö- als Schulaussprache eingebürgert.
Der Diphthong -ei- sollte nicht wie im Deutschen -ai-, sondern als echtes -ei- gesprochen werden.
Bei -eu- sollte man zwischen echten Diphthongen wie in ēheu (o weh!) und getrennt auszusprechenden Zusammensetzungen wie in neuter (= ne-uter, keiner von beiden) unterscheiden.
Konsonanten
Nach der Stelle im Mund bzw. Rachenraum, an der der Laut gebildet wird, lassen sich die lateinischen Konsonanten in folgende Gruppen einteilen:
Labiale
Lippenlaute
b, p, p(h)
Verschlusslaute (Okklusive/Muta)
Das lateinische -c- wird in der heutigen Schulaussprache wieder als -k- gesprochen, was der antiken Aussprache bis etwa 400 n.Chr. entspricht. Erst danach erfolgte vor hellen Vokalen die Umwandlung in den Zischlaut -ts-, den wir heute mit dem Buchstaben -c- verbinden. Es ist daher nicht falsch, z.B. in lat. Kirchenliedern des 16. oder 17. Jh. -c- wie -ts- zu singen.
Es gibt im Deutschen viele lateinische Fremdwörter, die wir zusammen mit ihrer spätantiken Aussprache übernommen haben. In lateinischen Kontexten sollte man diese Aussprache meiden. Das  betrifft  vor allem  -ph-  und -ch-, die als angehauchtes -p(h)- bzw. -k(h)- zu sprechen sind (also triump(h)us und sk(h)ola).
Auch bei Wörtern wie nātiō sollte man die spätantike und eingedeutschte Aussprache "natsjo" meiden und -ti- wie ein ganz normales -t- plus -i- aussprechen.
Die Labiovelare -gu- und -qu- wurden jeweils als ein einziger Laut (-gw-, -kw-) gesprochen und gelten auch in der Metrik als einfache Konsonanten.
Dentale
Zahnlaute
d, t, t(h)
Gutturale/Tektale
Gaumenlaute
g, k/c, c(h)
Labiovelare
Lippengaumenlaute
gu, qu
Frikative
Reibelaute
f, v, s, (z)
Das lateinische -s- ist immer stimmlos.
Das lateinische -v- ist eigentlich ein Halbvokal (siehe oben zu -u-) und wurde wie das englische -w- in water ausgesprochen. In der deutschen Schul- aussprache wird es gewöhnlich wie deutsches -w- gesprochen.
Das -z- (gesprochen -ds-) erscheint nur in griechischen Lehnwörtern.
Aspirata
Hauchlaute
h
Vor allem am Wortanfang wurde -h- nur noch von der gebildeten Oberschicht gesprochen und ist später bei vielen Wörtern ganz abgefallen (z.B. (h)arēna – Sand, Sandboden).
Nasale
Nasenlaute
m, n, ng
Im Auslaut wurden die Nasale nur schwach gesprochen und eher als Nasalierung der vorhergehenden Vokale empfunden. Auslautendes -n wurde daher meist gar nicht mehr geschrieben (z.B. regiō, Gen. regiōnis), und in der Metrik werden die Endungen -am, -em, -im, -om und -um wie auslautende Vokale behandelt.
Im Wortinnern finden wir solche Nasalierungen (wie im Deutschen) bei -ng- (z.B. longus – lang).
Liquide
Fließlaute
l, r
Das lateinische -r- ist eigentlich als Zungenspitzen-R zu sprechen, bei dem die Zungenspitze gerollt und hinter den oberen Schneidezähnen zum Vibrieren gebracht wird. In der Schule ist aber auch die deutsche Aussprache als Zäpfchen-R erlaubt.
Für das lateinische -l- gab es zwei Aussprachevarianten. Beim palatalen -l-, das vor den hellen Vokalen -i- und -e- gesprochen wurde, wird die Zunge am vorderen Gaumen (palatum) angelegt, beim velaren -l-, das vor den dunklen Vokalen -a, -o- und -u- gesprochen wurde, weiter hinten am Gaumensegel (velum). In der Schulaussprache wird dieser Unterschied kaum beachtet.
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